Allgemein, Für den Kopf

Fremdgeher Pt.3 – In 10min vom Urmensch bis zu Tinder

(…)  und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende“

– So oder ähnlich stellen sich Verfechter der monogamen Beziehung ihren Lebensabend vor. Ich bin einer von ihnen, sitze nicht selten Zuhause vor schmalzigen Filmen oder Büchern und schmachte nach der einen unendlichen, romantischen Liebe. Hach, die sind aber auch schön diese Filme!

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Doch wie sieht das in der Realität aus? Man verabredet sich ein paar Mal, vielleicht über einige Monate und es wird was Ernsteres. Dann fragt ihr irgendwann beiläufig, da das Thema zufällig aufkam: „Hast du denn mal jemanden betrogen?“

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Wenn dann der oder die Angebetete sagt: „Das spielt doch keine Rolle!“ – Falsch! Hat jemand bereits in einer festen Partnerschaft mit einem Dritten Sex gehabt, dann ist die Wahrscheinlichkeit um ein Vielfaches höher, dass sie es wieder tun werden. Zudem ist so ein Ausweichen gleich einem Schuldbekenntnis, zumindest was ihren alten Fehltritt angeht.

Lucy

Faktisch habt ihr da also ein gewisses Risiko neben euch im Bett liegen, so wie ich meine erste große Jugendliebe vor ein paar Monaten, von dessen Fehltritten ich im letzten Beitrag berichtete. Nach vielen Jahren verzieh ich ihm den damaligen Seitensprung in seiner Sturm und Drang-Zeit, doch es passierte wieder. Dabei ist er nicht der Einzige, der mir untreu wurde und ich würde mich keinesfalls als prüde bezeichnen. Doch das ist auch kein zwingend ausschlaggebender Faktor für einen Treue-Bruch.

Manche Menschen können einfach nicht anders: Sich an eine Person zu binden, ängstigt sie oder reicht schlichtweg nicht aus, um ihr unbändiges Ego zu bestätigen. Bei meiner Partnerwahl zieht es mich, wie viele andere, gerne mal zu Freigeistern, zu Künstlern, Musikern oder Extremsportlern. Ich liebe leidenschaftliche Menschen, die sich mit vollem Herzen ihrer Passion widmen. Doch diesem extrovertierten Persönlichkeitstypus eilt nicht gerade der Ruf voraus, besonders treu und bindungsfreudig zu sein.

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Und dann ist es schnell mal passiert: Auf irgendeiner Veranstaltung lächelt ihn ein blonder Vamp an. Sie kommen ins Gespräch. Neu und spannend ist sie; riecht so ganz anders als die Freundin; spielt sich süß an den Haaren. Ach und sie hat diese einnehmenden funkelnden Augen; ein bewunderndes, leicht unterwürfiges Lächeln und feuerrot-geschminkte Lippen. Sie ist neu in Berlin und will sich ausleben. Es ist um dich geschehen, ihre Aufmerksamkeit schmeichelt dir einfach und so gehst du mit ihr nach Hause.

Schon nach kurzer Zeit merkst du, wie unbedeutend das hier eigentlich ist. Doch jetzt ist es zu spät, also lässt du es geschehen. Und nach dem Sex?

Nunja, es war „ok“, nichts Besonderes irgendwie. Und so liegst du nackt neben ihr, starrst an die Decke. Sie schmiegt sich an deine Schulter; streichelt dir über die Brust; lächelt. Und du hast nur einen Gedanken: „Was habe ich getan?!“

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Wegen einer Stunde genußvoller Untreue
kannst Du die Liebe eines ganzen Lebens verlieren.“

– Werner Braun

Doch Fremdgehen muss nicht unbedingt eine Beziehung zerstören. Viele Menschen schaffen es einen solchen Fehler zu verzeihen. Immerhin bleiben 2/3 aller Beziehungen nach einem Seitensprung bestehen.

Alleine ein einziger Satz war es, der mir die jahrelangen Grübeleien beantwortete, wie man nur einen Betrüger zurück nehmen kann und warum man es weiter miteinander versucht, nach einer solch enormen Verletzung. In einem Film, der erst vor kurzem im Fernsehen lief, fragte die Tochter ihre Mutter: Er hat dich mit einer meiner Freundinnen betrogen. Wie konntest du da nur bei ihm bleiben?“

„Ich habe mich dafür entschieden bei ihm zu bleiben wegen all der Dinge die er richtig gemacht hat. Und ihn nicht zu verlassen wegen dieser einen Sache die er falsch gemacht hat.“, entgegnete diese.

Allerdings kann auch schon ein einziger Fehltritt das Aus bedeuten. Das Risiko ist da. Man setzt leichtfertig die gemeinsame Zukunft aufs Spiel. Rund ein Drittel der Beziehungen zerbrechen nach einem Seitensprung und an den Folgen eines Treuebruchs müssen die Betrogenen oft jahrelang arbeiten. Die Auswirkungen reichen von tiefer Verunsicherung und erhöhter Wachsamkeit bis hin zu schweren depressiven Verstimmungen.

Lucy

Ich bin also auch erhöht wachsam geworden und war wie viele zeitweise geplagt von depressiven Stimmungen nach einer dramatischen Trennung. Der erste Mann, der mich nun nach langem mal wieder interessiert hätte, klärte mich bei unserem ersten richtigen Kontakt (wenigstens ehrlich) darüber auf, dass er eine bereits eine feste Beziehung führt, diese allerdings offen sei. Er schrieb trocken, dass sie wenig Zeit habe manchmal, er daher einfach gerne noch Andere trifft. Und so fragte er mich, ob ich Lust darauf hätte eine von diesen “Anderen” zu sein.

„Pffff“, prustete ich entgeistert hinter meinem Laptopbildschirm und ließ mich fallen. Ich blickte auf zur Decke und fragte mich, in was für einer Zeit wir hier gerade leben, ob ich gar in der falschen geboren sei.

Lucy

Ja, warum lebe ich eigentlich jetzt, wo sich jeder fix trennt, weil es auf Tinder eh schon wieder 5 Matches gab und nicht zu Zeiten voller Romantik und Helden, die sich mutig dem Drachen entgegen stellen um mich zu retten?! Doch stimmt das überhaupt?! Man munkelt gerade im Mittelalter, zu Zeiten der alltäglichen Drachensichtungen, gab es überhaupt keine romantische Liebe.

Leben wir also doch zu den Zeiten der größtmöglichen Chance auf wahre Liebe? Oder werden kitschige, unrealistische Filme von Männern, die ihren Frauen verzweifelt zum Flughafen hinterher eilen, die romantisierten Drachen, Prinzessinnen und Prinzen-Legenden zukünftiger Generationen?!

Lucy

In der Geschichte des Menschen gab es viele Beziehungskonzepte bei denen sich Männer und Frauen sexuell nicht auf eine Person beschränkten. Über die Jahre hat sich in unserer westlichen Welt aber dennoch die Monogamie durchgesetzt. Gefestigt wird sie bis heute durch soziale, religiöse und moralische Normen. Andere Beziehungsformen wie die Vielehe empfinden wir aufgrund unserer lebenslangen Prägung als barbarisch und rückständig. Aber ist das auch unsere persönliche Meinung oder nur eine eingetrichterte Einstellung?!

Es treiben wie die Karnickel“

Beinahe alle Tiere treiben es wie es ihnen beliebt. Es ist ein Fakt: 97 Prozent aller Tierarten gehen fremd. Vor allem die Männchen schlafen mit mehreren Partnern. So verbreiten sie ihr Erbgut und erhalten ihre Art. Löwen, Zebras und auch Paviane halten sich dafür sogar ihren eigenen Harem. Aber nicht nur die Männchen, auch die Weibchen leben in der Natur ihre Sexualität frei aus.

Auch unsere nächsten Verwandten: Orang-Utans, Gorillas und Schimpansen führen ein Sexleben wie die Hippies. Bei etwa einem Viertel aller Primatenarten hat sich dennoch eine soziale Monogamie entwickelt. Dies bedeutet, dass die Partner in einer Zweierbeziehung leben und sich gemeinsam um den Nachwuchs kümmern, auch wenn andere sexuelle Kontakte vorkommen können. Klingt doch ganz nach unserer heutigen Gesellschaftsform!

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Ältere Sozialevolutionisten gingen von einer gradlinigen Fortentwicklung der Paarbindungen unter Menschen aus: Zu Beginn der Menschheit wäre Promiskuität (wechselnde Sexualpartner) üblich gewesen, die sich anschließend zur Gruppenehe und schließlich über die Vielehe zur Einehe (Monogamie) entwickelt hätte. Irgendwann entschied sich also bereits der frühe Mensch für diese Lebensweise.

Lucy

Der Wechsel von der Promiskuität zur Paarbindung markierte einen entscheidenden Schritt in der Entwicklung unserer Art. Diese sexuelle Revolution sollte die Kämpfe zwischen den Männchen verringert haben, die auf Dauer die Gruppe geschwächt hätten. Der Wandel zur klassischen Familie habe viele psychologische, soziale, aber auch körperliche Veränderungen ausgelöst, so meinen Wissenschaftler.

Schon Frauen der Frühzeit wählten also mit ziemlicher Sicherheit nicht zwingend die stärksten Macho-Männchen als Lebenspartner, sondern diejenigen, die sich am besten um sie und ihren Nachwuchs kümmerten. Eine intensive Fürsorge durch die Eltern habe wiederum die Überlebenschancen für den Nachwuchs erhöht und sich somit für unsere Art als Ganzes gelohnt.

Die Familie als sichere Basis für die Kinder gibt es also schon seit jeher. Eine gefestigte, treue Zweierkonstellation sorgte dafür, dass das Männchen in dieser Rechnung nicht die Bälger eines Anderen groß zog. Allerdings wird es mit der Treue vermutlich so gewesen sein, wie bei unserer vermeintlichen Monogamie. = Andere sexuelle Kontakte können vorkommen. Gelegenheit macht Diebe.

Lucy

Doch gab es Zeiten, in denen das akzeptierte Praxis unserer Spezies war oder wurden Seitensprünge schon immer eher heimlich praktiziert?!

Lucy

“Ein Mü Kulturgeschichte, Bitte!”

Bei den Menschen gab es nicht-monogame Beziehungen zu allen Zeiten an allen Orten dieser unserer Welt, meinen Historiker. Im Sparta der Antike waren Seitensprünge keine Ausnahme und wurden relativ unabhängig vom Geschlecht mit Wissen und Billigung der Partnerinnen eingegangen. In Athen dagegen behielten es sich hauptsächlich Männer vor, Seitensprünge zu Frauen oder auch Männern außerhalb der Ehe zu unterhalten. Im germanischen wie im römischen Reich gab es verschiedene Lebensformen, die vor allem Männern die Möglichkeit nicht-monogamer Beziehungen einräumten.

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Die Römer hatten eine durchaus lustvolle Einstellung zum Sex. Das belegen schriftliche Überlieferungen und besonders auch die überragende Kunst der Epoche. Allerdings hatte der Mann auch hier das Sagen und die Frau fungierte als Gebärmaschine und Vorzeigefrau. Besonders die Frauen der Oberschicht trafen diese Vorgaben. Sie sollten garnicht oder nur in Begleitung das Heim verlassen. Ihr Wert bemaß sich an ihrem Ruf. Geschlechtsverkehr in der Ehe diente vorrangig der Fortpflanzung.

“Eine willfährige (“jederzeit bereitwillige“) Ehefrau hält den Mann vom Huren ab“, riet damals schon Publilius Syrus. Aaaaaahja, den Mann also brav bei Laune halten, damit er nicht „außer Haus isst“?! Ja, is klar!

Auch im antiken Griechenland war es für Ehemänner nicht verpönt, Umgang mit Hetären (griechisch für “Gefährtinnen” = weibliche Prostituierte im Altertum) zu haben, da auch die griechischen Ehefrauen vor allem im stupiden Haushalt tätig und im Gegensatz zu den sogenannten „Gefährtinnen“ in Kunst, Kultur, Literatur und Philosophie meist nicht sonderlich bewandert waren. Die käuflichen Frauen wussten zu unterhalten, die armen Ehefrauen blieben im goldenen Käfig.

Pompeji
Pompeji

Nun ja, mit Frauenrechten konnte die Antike nicht groß dienen, könnte man zunächst meinen, dafür aber mit bewiesenermaßen weitaus weniger Homophobie und sexuellen Einschränkungen, wenn auch meist nur für den Mann. Das weiß auch jeder, der bereits die durch Vulkanasche konservierte Provinzstadt Pompeji mit seinen gefühlt 1Mio Freudenhäusern (immerhin über 100 sicher identifizierte) und erotischer Kunst besuchte.

Es gibt sogar ein Museum mit den prekärsten erotischen Fundstücken, das lange vor der Öffentlichkeit verschlossen blieb, da man die Fresken und Plastiken für “eine Gefahr der herrschenden Moral” hielt. Man mauerte die Türen des geheimen Kabinetts des Archäologischen Nationalmuseums in Neapel sogar zu! Sicher ist sicher…

Wer das gerechtfertigtermaßen für übertrieben hällt, hier einige Kostproben des eingeritzten, antiken Graffitis der sündigen Stadt: “Wer sich hier hinsetzen will, sollte erst einmal das hier lesen: Wer ficken will, frage nach Attike, die kostet 16 Asse“, was immerhin fast dem Doppelten eines durchschnittlichen Tageslohns entsprach. Ein Restitutus schrieb: “Restituta, lege deine Tunika ab, bitte, und zeige uns dein haariges Privatestes”. Auch schön sind geteilte Erfahrungswerte: “Derjenige, der anal verkehrt, verbrennt sich den Penis” oder einfache Zugeständnisse alá “Ich habe die Barfrau geknallt” oder “Hier habe ich eine Menge Frauen befriedigt”

Und hier was für die Gleichberechtigung, denn das Rotlichtmilieu war keineswegs von käuflichen Frauen dominiert: “Maritimus leckt dir die Möse für vier Asse, Jungfrauen willkommen“, lautete ein Werbespruch, “Menander, gute Manieren, kostet zwei Asse” ein anderer. (Gute Manieren klingt doch großartig!!) Wer sich von heterosexuellen Dienstleistungen nicht sonderlich angesprochen fühlte, wäre vielleicht bei “Cosmus, Sklave von Equitia” fündig geworden: “Er ist eine Riesenschwuchtel und bläst Schwänze mit geöffneten Schenkeln.” Da treibts ja sogar mir die Schamesröte ins Gesicht!

Pompeji

Aber das Sexgewerbe war nun einmal lukrativ. Prostitution war gesellschaftlich akzeptiert und galt auch nicht als Ehebruch, der unter Strafe stand. Die Ehe war in der Regel nur eine Geschäftsbeziehung, unversorgte Frauen gab es in großer Zahl und das Gewerbe versprach deutlich höheren Verdienst als ihn etwa ein Handwerker nach Hause bringen konnte. Sex war im Römischen Imperium allgegenwärtig, sagen Althistoriker. Das hing auch mit einer weitgehend romantikfreien Einstellung der Römer zur Sexualität zusammen. Selbst die Göttergeschichten der griechischen und römischen Mythologie strotzen nur so vor Sex, Sex, Sex.

Als Folge war so gut wie jedes Gebäude in Pompeji entweder selbst ein Puff, ein öffentliches Bad mit käuflicher „Liebe“ im Repertoire oder ein Privatheim mit zumindest einem Raum für eine hauseigene Prostituierte, als lukrativer Zuverdienst für die Familie des Hauses. Haha, stellt euch das mal vor!!

Sodom und Gomorra würde die Kirche sagen! Aber die sollten auch lieber nicht das moderne Berliner Nachtleben besuchen!

Glaubt man dem Bericht des antiken Schriftstellers Cassius Dio, beschuldigte Kaiser Augustus die römischen Männer und Frauen, sich nicht mehr mit einem Partner fürs Leben zufrieden zu geben. Sie führten ein wildes Sexleben, anstatt zu heiraten und dem Staat (legitime) Kinder zu schenken. Daher erließ er Gesetze, die die Bürger mit Strafen zu Heirat und Kindern zwang.

Dass überhaupt solche Maßnahmen notwendig waren, zeigt, wie gravierend sich die Realität offenbar vom propagiertem moralischen Ideal unterschied: Viele Männer und Frauen lebten in wilder Ehe zusammen (vielleicht sogar aus Liebe, evtl. entgegen ihrem Stand oder hatten/wollten aus anderen Gründen keine Heiratserlaubnis) oder wechselten ihre Sexualpartner regelmäßig. Das hing auch mit den zunehmenden Freiheiten der Frauen zusammen, die finanziell nicht mehr zwangsläufig auf eine Hochzeit angewiesen waren. Ja, schon in der Antike war die Ehe zum Zweck der Fortpflanzung eine überholte Vorstellung, die erst mit dem steifen Christentum wieder auflebte.

Im alten Ägypten kamen offenbar wenigstens reiche und mächtige Frauen erotisch auf ihre Kosten. Die Pharaonin Kleopatra soll gleich mehrere Affären gehabt haben, unter anderem mit Julius Cäsar und Marcus Antonius.

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Nach der Antike, mit all der herausragenden Kunst, Philosophie und Politik der Römer, kam das Mittelalter. Im Mittelalter bestand die Bevölkerung nach modernen Schätzungen zu fast 90 % aus Bauern. Sie waren die Leibeigenen und damit Unfreien der Grundherren. Dieser Grundherr hatte seinerzeit das unfassbare Ius primae noctis – “Recht der ersten Nacht“, also das Recht in der Hochzeitsnacht mit der Braut zu schlafen. Die Umsetzung dieses Rechts in die Tat ist umstritten.

Die mittelalterliche Ehe zeigte kaum Übereinstimmungen mit unserer heutigen Sichtweise auf die Beziehungen. Ihr fehlte durchweg die Idee der „romantischen Liebe“ und der Verbindung aufgrund persönlicher Zuneigung. Der Zweck der Ehe lag in der Zeugung legitimer Nachkommenschaft und in der Möglichkeit, erworbenen Besitzstand problemlos weiterzugeben. Familiäre, soziale, wirtschaftliche und politische Interessen waren demnach ausschlaggebend für eine Eheschließung. Die Scheidung einer bestehenden Ehe war nach kirchlichem Recht nicht vorgesehen.

Lucy

Durch den zunehmenden Einfluss der christlichen Kirche wurde Sexualität, die nicht kirchlich sanktioniert war und der Fortpflanzung diente, für sündig erklärt. Leidenschaft wurde als Laster angesehen, als ein Werk des Teufels. Uhuhu!

Die Kirche stellte Sex und alles, was damit zusammenhing unter strenge Auflagen, das Volk lebte seine Bedürfnisse heimlich weiterhin voll aus. Und wieder waren es vor allem die Frauen, die sich an ein umfangreiches Regelwerk zu halten hatten: Aufreizende Kleidung oder „kokettes“ Verhalten waren verpönt. Ein Mädchen hatte als Jungfrau in die Ehe zu gehen, daran wurde ihr Wert als “Mensch” gemessen. Auch während des Aktes hatte die Frau stets eine passive Rolle einzunehmen. Ebenso wie die Sexualität wurde der nackte Körper als beschämend angesehen. Die Kirche ist ein Spielverderber – so viel steht fest!

Den Ehefrauen wurde Sittenreinheit abverlangt und damit auch die Forderung nach unbedingter Treue. Männern gegenüber zeigten sich die Gesetzgeber bei Verfehlungen jedoch deutlich nachsichtiger.

Nehmt euch mal eine Sekunde, schließt die Augen und stellt euch das vor (Nee, doch nicht schließen, ihr müsst ja lesen!!): Bereits mit 12 Jahren erreichte Mädchen das heiratsfähige Alter, Jungs mit 14. Eine meist arrangierte Ehe eingehen als selbst noch Kind, ohne jegliche Anziehung zueinander und dann noch möglichst viele Kinder miteinander zeugen, um auch in der Zukunft einigermaßen über die Runden zu kommen. Und wenn der (am besten noch alte, stinkende) Grundherr das wollte, konnte er die jungen Mädchen noch vor der Hochzeitsnacht entführen und vergewaltigen. Ein Hoch auf den Feudalismus und die heuchlerische Kirche!

Und bloß gut leben wir jetzt !

Fremdgeher
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“Verliebt, verlobt, verheiratet.”

In der Neuzeit (ab 1500) begann sich die Auffassung außerehelicher Beziehungen endlich zugunsten der Frauen zu verändern. Im Vergleich zum Mittelalter gab es in der Frühen Neuzeit, bezüglich der Sexualität, eine gewisse voranschreitende Entkrampfung. Die Frau wurde nicht mehr als Besitz des Mannes betrachtet. Vergehen wie Ehebruch regelte man zunehmend gesetzlich. Es entwickeln sich echte Paarbeziehungen.

Fremdgeher

Die »Liebesehe« war hauptsächlich eine Schöpfung des aufstrebenden Bürgertums im 18. Jahrhundert. 1761 erhob der französische Schriftsteller und Philosoph Jean-Jacques Rousseau in seinem Erfolgsroman Julie oder Die neue Heloise die Forderung, dass nicht Pflicht, sondern Zuneigung die Grundlage eines gemeinsamen Lebens bilden sollte. Diese Sichtweise wurde vom beginnenden Zeitalter der Romantik übernommen. Nun kam also endlich das Ideal der Vereinbarkeit von Liebe, Sexualität und Ehe auf. Auch wenn es mit Sicherheit zu jeder Zeit unserer Geschichte auch Liebesbeziehungen und -ehen gegeben hat!

Die übliche Partnersuche in dieser Eopche verlief trotz aufkommender Romantik aber weiterhin meist nach sachlichen Kriterien, beispielsweise Vermögen, Status und Herkunft. Und auch die Reduzierung der Frauen auf ihre reine Hausfrauenrolle war immernoch gelebte Praxis.

Doch dann zeigten Frauenrechtsbewegungen (Beginn des 18. Jahrhunderts) Wirkung: Erst kamen grundsätzliche politische und bürgerliche Rechte, wie das Wahlrecht, dann das Recht auf Erwerbstätigkeit, das Recht auf Bildung. Die ökonomische Unabhängigkeit der Frau durch eigene Erwerbstätigkeit sicherte nun im 20. Jahrhundert die Freiheit der Partnerwahl und ermöglicht erstmalig die völlige Gleichberechtigung in der Partnerbeziehung.

Lucy
Fremdgeher
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Das ist ein komplett neues Konzept mit neuen sozialen und psychischen Anforderungen. Die Liebe ist nicht nur das Motiv für die Partnerwahl heutzutage, sondern auch die Grundlage der Ehe: Besteht sie nicht mehr, haben Ehegatten die Freiheit, sich voneinander zu trennen.

Und das passiert nun auch immer öfter auf Wunsch der Frau, denn sie ist wirtschaftlich nun abgesichert und nicht mehr abhängig vom Ehemann und seinem Geld.

In Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit und sozialer Umbrüche gewinnen traditionelle Lebensmodelle ihren Reiz jedoch oft wieder, so auch bei uns in den 1950er Jahren. Nach zwei Weltkriegen und den Schrecken des Nationalsozialismus sehnten sich die Menschen nach Ruhe, Ordnung und Beschaulichkeit. So erfüllten sie gerne die Rollen, welche die traditionelle christliche Vorstellung von Ehe und Familie für Männer und Frauen vorsah.

Viele der Kinder, die in dieser Zeit aufwuchsen, rebellierten allerdings gegen dieses Verständnis von Beziehung und Ehe. Die 68er-Bewegung, die darauf folgende zweite große Frauenbewegung in den 1970ern, sowie die sexuelle Revolution führten zu erneuten weitreichenden gesellschaftlichen und gesetzlichen Änderungen.

Lucy
Lucy

“Diese, unsere Zeit.”

Und genau das ist die Zeit in der Wir leben. Wir sind nur ein kleiner Schritt in der Evolution der Menschen, die Erben dieser, unserer Kulturgeschichte. Die Nachkommen der sexuell offenen Spartiaten und Pompejianer, und ebenso der streng gläubigen Spießer des Mittelalters sowie der mutigen Frauenrechtskämpferinnen der Moderne.

Nachdem noch vor wenigen Jahrhunderten Ehen ausschließlich dazu dienten sich gegenseitig sowie die Familien wirtschaftlich, politisch abzusichern; Sex dazu diente fleißig arbeitende Nachkommen zu zeugen, sollen wir jetzt in dieser Welt mit all ihren modernen Anforderungen und widersprüchlichen, moralischen Vorgaben bestehen.

Lucy

Wir sollen uns selbst verwirklichen, aber uns doch in gesellschaftlichen Rahmenbedingungen bewegen, denn als soziale Wesen wollen wir keine Ausgrenzung erfahren. Wir wollen weder unsere Eltern enttäuschen, noch ihr „spießiges“ Leben wiederholen. Es ist eine Zeit, die durchmischt ist von alten konservativen Wertevorstellungen und modernem Freiheitsdrang; eine Zeit, in der sich jedes Jahrzehnt, immer schneller und schneller zu verändern scheint, wir mit der Anpassung kaum mehr hinterher kommen.

Viele akzeptieren einfach die Grenzen, die ihre Erziehung, die Gesellschaft ihnen vorgibt, ohne jemals zu hinterfragen, ob das denn alles richtig so ist. Sie arbeiten 40-50h jede Woche in einem unzufriedenstellenden Job, heiraten jung und richten ihr Leben dann zu 100% nach den Kindern. Selten wagen sie zu träumen, wie das Leben an der Seite eines Models, Schauspielers oder Extremsportlers wäre. Manch anderer, der es allzu wild treibt, wird hinter vorgehaltener Hand verpönt, denn „wir sind ja alle frei und selbstbestimmt, aber das muss man ja auch nicht grenzenlos ausreizen“.

Die Hippiebewegung der 70er versuchte sich frei zu machen von all den strengen Vorgaben und ihre hart erkämpften Freiheiten hallen bis heute nach. Wir alle profitieren von ihren Errungenschaften. Und doch umgeben uns noch stetige Regeln und Moralvorstellungen und die Schmach des Umfeldes für eine offen ausgelebte Sexualität, gerade wenn Frauen die Akteure sind.

Manche Dinge ändern sich halt nicht so schnell, wie wir es gerne hätten.

Fremdgeher
Lucy

Ist unsere Zeit bestimmt vom stetigen Kampf gegen die übertriebenen Vorgaben der Kirche, die bis heute nachhallen?! Haben wir uns mit dem Springen von Bett zu Bett und dem Betrügen von geliebten Menschen etwas zu weit getrieben mit unserem Freiheitskampf?! Sollten wir einen neuen respektvollen Umgang miteinander lernen und moralische Werte unabhängig von Religionen neu diskutieren?

Ich persönlich denke, dass wir mit Niemand anderem als uns selbst reflektieren sollten, was wir für richtig und falsch halten. Allerdings sind unsere Moralvorstellungen hauptsächlich geprägt worden durch die Erziehung unserer Eltern und dem restlichen Umfeld, das uns umgibt seit klein auf. Und ob dieses Umfeld richtig lag mit ihren Ideen und Vorstellungen ist die große Frage.

Daher rate ich, was ich auch in meinem Buch rate, als es um moderne Schönheitsideale ging: Schaut euch in anderen Kulturen und Überlieferungen sowie der Kunst anderer Epochen um; reist und bildet euch. Redet auf eurem Weg mit so vielen Menschen wie es geht, lest ihre Geschichten und hört ihre Erfahrungen. Vielleicht könnt ihr daraus etwas Wertvolles für euch mitnehmen, euren Geist dafür öffnen, was euch moralisch wirklich ruhig schlafen lässt, anstatt nur die Meinung anderer unreflektiert zu übernehmen.

Im letzten Teil zu diesem Thema hinterfrage ich, was Liebe nun tatsächlich ist und was die Biologie zu Monogamie sagt. Verspricht sehr spannend zu werden! – Lest also bald wieder rein!!!

Lucy

Quellen: Polly Lohmann – www.focus.de/wissen | www.wikipedia.de | Buch “Es war doch nur Sex. Seitensprung – ein altes neues Verlangen” – Andrea Bräu | Ananda Grade – http://www.femininleben.ch/ | www.leben-im-mittelalter.net | Florian Stark – www.welt.de

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18 Kommentare auf "Fremdgeher Pt.3 – In 10min vom Urmensch bis zu Tinder"

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