Diary

Melancholie nach dem Sauffest

Gestern früh, der Montag nach dem BRN-Wochenende, entschloss ich mich zu einem Spaziergang durch den Kiez. Ich fragte mich selbst warum, war es doch absehbar, dass mir manches Unangenehme auf meinem Weg begegnen würde. Doch es hat auch was an sich, eine Stadt nach einer wilden Feierei zu sehen, alleine schon wegen dem enormen Kontrast zu nur wenigen Stunden zuvor, als noch alles im Gange war.

Eine fast unheimliche Ruhe wehte durch die Straßen. Es war noch stiller als an einem normalen Montag. So fühlte es sich etwas an, als wäre man in einer Geisterstadt unterwegs. Doch ganz verlassen war es hier nicht. – Von Zeit zu Zeit sah man noch Menschen in Ecken schlafen.

BRN 2017

Da riss mich Lucy aus meinen Gedanken. Sie guckte mich hilfesuchend an. Ich musste meine Eindrücke kurz abschütteln und versuchte mich zu konzentrieren.

Ihr müsst wissen, entlang der Sebnitzer Straße stehen kleine, dekorative Bäume. Wie immer schnüffelte sie an den Rändern herum. Doch es roch nicht wie sonst und sie stagnierte. Was war das nur? Nach einer weiteren Prüfung blickte sie zu mir. Ich, nun aus meiner Gedankenwelt geholt, realisiere schnell, dass der Boden rund um den Baum komplett nass ist. „Tja Lucy, das ist wohl Menschen-Urin und nicht von Hunden!”

BRN 2017

Ich animiere sie zum weiter Gehen. Laufe vorbei an traurig anmutenden kaputten Luftballons, zertretenen Luftschlangen und dreckigem, verklebten Konfetti. Eine nachdenkliche Atmosphäre.

Die Dinge enden einfach immer so schnell, besonders die schönen Zeiten. All diese Menschen die hier feierten, lachten, tanzten und sich daneben benahmen – nur einen Hauch später sind sie wieder weg und in ihrem Alltag gefangen wie in einem Strudel. Ein leben von Wochenende zu Wochenende, von kurzen schönen Momenten zu den (hoffentlich) nächsten.

Alles ist so unglaublich vergänglich. Doch in manchen Dingen auch nicht schlecht, denn für mich war das Wochenende, bis auf ein paar Momente mit lieben Menschen zwischendurch, purer Stress und Anspannung. Hatte ich was zu erledigen und musste durch die Massen, spannte sich mein ganzer Körper an und ich versuchte nur irgendwie zu “überleben”. Eine wie auch immer geartete Schönheit oder Geselligkeit kann ich solchen Massen nicht mehr abgewinnen.

Ja, solch eine Angststörung in Verbindung mit anderen Krankheiten (Depr. | PTBS) hat schon enorme Auswirkungen auf das Soziale und die Wahrnehmung von solchen Ausnahmesituationen. So fühle ich mich nicht wie ich selbst in diesen Momenten, in denen ich mich Umständen ausgesetzt fühle, die mich überfordern. Es ist als würde ich meinen Körper verlassen. Dieser läuft zwar weiter und funktioniert einigermaßen, doch ist er kaum mit Leben gefüllt.

BRN 2017

Aber jetzt ist es ja vorbei und nur noch die Hinterlassenschaften der unzähligen Sauftouristen erinnern an die Welle, die durch diesen Stadtteil schwappte. Zeitweise kann ich den beißenden Uringeruch in meiner Nase kaum ertragen und muss Lucy schnell weiter ziehen, da mir übel wird. Die Kotzflecken alle paar Meter machen es nicht besser. Ich ekel mich. Verziehe das Gesicht.

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Als ich den Kopf nach rechts drehe in einen Hauseingang in dem Freunde wohnen, sehe ich metergroße Pfützen voll Pisse. Mich schüttelt es. Diese widerlichen Menschen. Man scheißt halt einfach auf die armen Tropfe, die hier leben, im wahrsten Sinne des Wortes. Unverständlich.

Und doch reiht es sich ein, in das Verhalten, dass ich auch in meinem Text vom Samstag kritisierte. Es ist einfach kein Fest von Anwohnern für Anwohner oder für Kulturinteressierte mehr. Alkoholstände reihen sich an ebenso kommerzielle Bratwurstbuden, kaum mehr ein Anwohner bekommt eine Erlaubnis für einen privaten Stand. Und so ändern sich auch die Besucher des Festes. Wie ich da so drüber nachdenke, bleiben meine Füße fast am Boden kleben. Süße Cocktails und Essensreste haben die Gehwege völlig verklebt. Bäh!

BRN 2017
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So bleibt das einzig Zauberhafte für mich an diesem traurigen Fest der Sonntagvormittag, wenn die Anwohner traditionell auf der Straße frühstücken. Überall werden einfach Tische und Stühle heraus gestellt und man sieht die sonst anonymen Gesichter, die im Alltag nur gestresst an einem vorbei huschen, plötzlich ganz privat vor sich, neben sich, mitten zwischen sich. Eine wunderbare Tradition.

Und ich kann auch nicht leugnen, dass es hier und da schöne Momente gibt oder geben kann auf diesem Fest. Und auch nicht dass der einstig alternative Charakter immer noch etwas nachwirkt und somit dafür sorgt, dass sich die BRN positiv abhebt von klassischen Stadtfesten.

BRN 2017
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Aber ich erinnere mich halt noch daran, wie ich als kleiner 15-jähriger Punk im Alaunpark mit Freunden entspannte oder durch die Straßen zog, vorbei an den unzähligen kulturellen Angeboten. Ich füllte mir den kleinen Magen mit leckeren selbstgebackenen, veganen Kuchen von einem Stand vor einem besetzten Haus und abends gab es zünftige Randale. Über eine Beteiligung daran schweige ich lieber (aus Gründen).

Es war ein Aufbegehren, ein kurzer Moment der Freiheit von staatlicher Unterdrückung. An diesem Wochenende waren wir faktisch frei, wenn auch nur für einen flüchtigen Moment. Wir schnupperten die Luft der Autonomie, der vollkommenen Selbstbestimmung.

Umso mehr schmerzte der hier und jetzt erlebte Vergleich 10 Jahre später und damit meine ich die an jeder Ecke spürbare Kommerzialisierung.

Ja, das lässt mein Herz schmerzen, ohne jetzt allzu dramatisch klingen zu wollen. Allerdings realisierte ich nun mal in diesem Augenblick: Ein paar der schönsten Momente meines Lebens waren nun nicht mehr wiederauflebbar. Sie gehörten endgültig der Vergangenheit an.

Aber das bedeutet ja nicht, dass  keine Neuen dazu kommen können! Vielleicht entsteht ja wirklich bald hier ein neues, eigenes, selbstorganisiertes Straßenfest ohne staatliche Kontrolle und Geldmacherei, eben so, wie es ursprünglich auch die BUNTE REPUBLIK NEUSTADT war – von Anwohnern für Anwohner, von Menschen für Menschen, mit viel Kultur, Menschlichkeit und vor allem: der Freiheit, die ich damals kosten durfte. Wäre doch eine Schande, wenn nachkommende Generationen sie nicht mehr erleben können.

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PS: Dieser Text sollte ursprünglich bereits gestern erscheinen. Doch die durch Brandanschläge ausgelöste Störung des Handynetzes betraf auch mich und dazu noch mein Internet Zuhause. Ich war quasi abgeschnitten von der Welt, musste mich den ganzen Tag mit echten Menschen und analogen Büchern beschäftigen. Haha.

Nichtsdestotrotz unterstütze ich diese Aktion. – BLOCK G20 !!!

“Wenn Kriege geführt werden und das Klima ruiniert wird, wenn Mauern und Grenzen hochgezogen werden, wenn die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden, dann braucht es Menschen, die laut und unmissverständlich Nein sagen. Das wollen wir tun.”

Informationen zu BlockG20, zum Aktionsbild und den Treffpunkten:
www.blockg20.org
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Facebook.com/blockG20

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2 Kommentare auf "Melancholie nach dem Sauffest"

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