Allgemein, Für den Kopf

David vs. Goliath AKA Mr.Right gegen die Bindungsangst

Trennung verringert mittelmäßige Leidenschaften und vergrößert starke, wie der Wind Kerzen auslöscht und Glut entfacht.“

– François VI. Duc de La Rochefoucauld

Wer eine Liebe begraben musste, sollte sich nicht kopfüber ins Vergnügen stürzen, um bloß alle traurigen Gedanken zu vermeiden. Oh, ich sehe den unbebundenen Berlinern schon die Ohren flattern bei diesem Satz. Bewiesenermaßen verdrängt man das Problem nur, wenn man sich ablenkt mit Abenteuern. Und das wird sich irgendwann rächen. Das kurzweilige Glück ist bröckelig, wie mit einer Wand, die man einfach nur überstreicht.

Wer seine Trauer nicht wirklich verarbeitet hat, wird im weiteren Leben versuchen, sich vor neuen Verletzungen zu schützen – und Single bleiben.“, da sind sich Psychologen einig. Und diesen Typus kennen wir alle – die ewigen Singles. In Berlin besetzen sie ganze Straßenzüge. Viele beteuern sie seien glücklich mit ihrem Singleleben, aber in vertrauensvollen Gesprächen zeigen sich die Wenigsten wirklich zufrieden. Sie wissen nicht mehr im Geringsten, wie es sich anfühlt, zu lieben und gleichzeitig zurückgeliebt zu werden.

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Gerade am Anfang meiner Zeit in Berlin war ich viel im Nachtleben unterwegs. Anfangs war es nett raus zu kommen, die Stadt zu erkunden. Ich war dankbar über die neuen Bekanntschaften die mich überall umsonst rein brachten. Nach kurzer Zeit langweilte mich die Oberflächlichkeit ihres Alltages. Es war alles so banal. Sie bedienten sich primitivsten Sprachklischees, die mich oftmals regelrecht fremdschämen ließen. Nach 3 ist „Resteficken“ angesagt, wer neu in der Stadt oder Tourist ist, ist „Frischfleisch“, erklärten sie mir und lachten höhnisch. Ungeschützter anonymer Geschlechtsverkehr eine Selbstverständlichkeit, genau wie Drogen. Die Anmachen, die zum einvernehmlichen Sex führen sollten waren plakativ aber wirksam! Ich konnte es kaum fassen, dass sie trotz ihres plumpen, direkten Auftretens nie alleine nach Hause gingen.

Wie im Rausch verbringen sie ihre Nächte. Die Fragen, die einen in klaren Momenten in den Sinn kommen würden, ignorieren sie oder blenden sie aus. Fragen wie, mit wem die Frau, die nach einer langen Partynacht ganz selbstverständlich und ohne zu verhüten mit einem geschlafen hat, sonst noch so ungeschützt Sex hatte. Michael Nast berichtete in einer Kolumne von einer jungen Frau, die beim Abschleppen eines seiner Freunde berichtete, dass sie eben erst „total schönen“ Sex auf der runtergekommenen Discotoilette mit einem anderen Fremden hatte. Selbstredend ging Michaels Bekannter trotzdem mit ihr mit. „Aber ich hab nicht mit ihr geschlafen. Also nicht so richtig. Also nur kurz. Ich hatte ja keine Kondome da.“

Sie lebten das Leben von 18-Jährigen, ungebunden und mit jugendlicher Respektlosigkeit. Keine Angst vor eventuellen Konsequenzen. Krankheiten sind nicht wirklich im Bewusstsein der Leichtsinnigen, eher noch ungewollte Schwangerschaften. Wollten sie denn nicht mal ankommen irgendwann? Zur Ruhe kommen, in jemandes Armen einschlafen? Jemandem was bedeuten…

Was macht ihnen denn solche Angst einen Menschen an sich ran zu lassen? Über die Jahre führte ich in ruhigen Momenten unzählige Gespräche mit den Partywütigen. Fragte was sie bewegte, wo sie sich sahen zukünftig. Ich hörte ihre Geschichten von betrogen werden und gebrochenen Herzen, wer die Frauen waren, die sie so verletzt haben. Ich hörte diese Männer sagen: „Du bist eine der Frauen, mit der man was Ernsthaftes anfängt, nicht nur Bedeutungsloses. Du bist was Besonderes.“ Am Ende behandelten sie mich wie jede Andere.
Vielleicht können sie gar nicht mehr anders, sind nicht in der Lage, die Grundlagen für eine gemeinsame Zukunft zu schaffen – nämlich das Vertrauen und die wirkliche Nähe zu einem anderen Menschen. Keine Frage, beides sind Risikofaktoren. Fazit ist: es ist ein Mix an Ängsten die sie nach den Verletzungen ihrer Vergangenheit quälen und manch einen in Konsequenz zu soziopathischen, nazisstischen Arschlöchern macht.

Manche befürchten in einer Partnerschaft nicht mehr genügend Freiraum zu haben, oder fürchten sich vor der Verantwortung und den Verpflichtungen, die womöglich auf sie zukommen könnten. Haben Angst dass bereits Erlebtes sich wiederholt. Als ich letztens bei einem Date nachfragte, ob er selber weiß warum er immer so distanziert ist, sagte er kühl und abgeklärt: „Vielleicht habe ich ja gelernt, dass man sich mit Gefühlen verletzbar macht.“ Na das nenne ich mal reflektiert! Und bezeichnet kurz und knapp einen der Hauptgründe für die Horden an unglücklichen Singles – Angst vor Verletzung.

„Ob der andere stirbt und dich allein läßt, oder ob er es vorzieht, ohne dich weiter zu leben, jede Trennung läßt auch etwas in dir sterben und du wirst immer weniger du.“

– Erhard Blanck

Auch sie sind auf der Suche nach der perfekten Frau. Aber sie haben es sich zu gemütlich gemacht auf ihrem Weg dorthin und kommen aus ihrem Alltag nun schwer heraus. Dem Alltag der ständig wechselnden Kurzzeit-Lieben, die nie ein gewisses Haltbarkeitsdatum überschreiten. Michael Nast beschrieb sie in seinem Buch so: „Ihre sozialen Kontakte beschränkten sich darauf, hin und wieder mit Kollegen einen saufen zu gehen, auf Dates, One-Night-Stands und auf Leute, die sie auf Partys kennenlernten, mit denen ich nüchtern kein Wort gewechselt hätte. Ein Leben, das aus Arbeit, exzessivem Ausgehen und unverbindlichem Sex besteht. Sie besaßen teure Möbel und lebten in Wohnungen, die ihre gelegentlichen Gäste beindruckte. Die Kulisse stimmte. Da übersah man schnell, dass sie eigentlich ein asoziales Leben führten, dass ihr Kühlschrank immer leer war.“

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Zu diesen Kaputten auf dem Singlemarkt, kommen noch die Menschen, zu denen ich mich womöglich auch zählen muss. Und ich springe wirklich nicht gerne in diese Schublade. Es sind Diejenigen gemeint, die zwar Beziehungen eingehen, aber diese boykottieren, wenn sie zu tief gehen. Die amerikanischen Autoren Steven Carter und Julia Sokol haben festgestellt, dass Bindungsangst längst nicht mehr nur ein Männerphänomen ist. Es gibt immer mehr Frauen, die der Liebe aus dem Weg gehen. „Du siehst immer nur die Fehler“ könnte ein geschulter Psychologe mir vorwerfen. Die Kleinigkeiten sind am Ende aber auch nur ein Vorwand für ein größeres Problem.

Denn Menschen mit Bindungsängsten tun unbewusst alles, damit eine gute Beziehung nicht zustande kommt. Enge Bindungen werden als bedrohlich empfunden. Den Anderen fern zu halten ist daher eine Schutzfunktion. Jeder weiss ja, zwischen Selbstwahrnehmung und Außenwirkung besteht immer eine gewisse Diskrepanz. Somit laufen solche Verhaltensweise selten bewusst hab. Wahrscheinlicher ist, dass man sich schrittweise distanziert, anfängt nur noch schlechte Eigenschaften am anderen hervorzuheben und dementsprechend kaum noch gute Bemühungen sieht. Die möglichen Strategien zum auf Abstand halten sind mannigfaltig. Manche Betroffene tendieren zu unnötigen Provokationen und Streitigkeiten. Oftmals zimmern sie sich ein verzerrtes Bild des anderen zusammen um begründet auf Abstand gehen zu können, vielleicht sogar ein regelrechtes Feindbild. Ein hervorragendes Fundament für Missverständnisse, die mit der Zeit oft zum Ende der Liebe führen.

Wer hingegen versucht, seine Trennung wirklich zu verarbeiten, wird danach unbefangener auf einen neuen Menschen zugehen können und es einfacher haben, eine neue Liebe zu wagen.

Aber wie verarbeitet man denn nun eine Trennung? Niemand möchte ja ewig den alten Verletzungen ausgeliefert sein, die einen unbewusst beeinflussen. Auch ich kann nicht behaupten über die Erlebnisse mit meiner großen Liebe hinweg zu sein.  In emotional labilen Momenten wünsch ich ihn mir sogar zurück. Das Übel das man kennt ist besser als das unbekannte, oder?
Natürlich nicht!!! Die Person die dich gebrochen hat, kann dich nicht heilen. Und ich und eine Freundin stellten beim Philosophieren letztens auch die Theorie in den Raum, dass die Person die man vermeintlich am meisten geliebt hat, vielleicht doch eher die Person ist, die einen emotional am meisten aufwühlte. Das kann in schlechter und guter Weise passiert sein, oder in meinem Fall von beidem eine große Portion.

Außerdem habe ich das Talent mir Männer zu suchen, die nicht bereit sind für eine Beziehung. Warum ist die Frage? Sie sind womöglich spannender. Ich brauche vielleicht ein gewisses Maß an Leid. Früher ging ich davon aus ein Talent dafür zu haben das eine Arschloch unter hunderten Männern zu finden und dass ich nicht für Liebe gemacht bin. Mittlerweile weiss ich, dass da mehr dahinter steckt. Carter und Sokol nennen solche Frauen passive Vermeiderinnen. Die lassen gern alle Welt glauben, sie seien vom Pech verfolgt und würden jeden Idioten im Umkreis von 100 Kilometern magisch anziehen. Dabei suchen sie sich konsequent Männer, die nicht zu ihnen passen. Autsch – das tat weh! Aber das tun manche Erkenntnisse nun einmal.

Wie gesagt, solange es einen nicht selbst betrifft, gibt man die souveränsten Ratschläge in Liebesdingen. Aber sobald es einen betrifft, wird man zu einem anderen Menschen, zu einem unbedarften, naiven und hilflosen Teenager, der seinen Gefühlen gnadenlos ausgeliefert ist.“ – Michael Nast

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Hier ist was ich über Trennungen und deren Verarbeitung gelernt habe: Man sollte sich immer fragen, ob es einem mit oder ohne die Person bessergeht, nach der man sich sehnt. Ob sie einem wirklich guttut. Und wenn nicht, dann muss man genug Courage haben sich selbst zu schützen. Egal aus welchen Gründen und in welchen Umständen man einen geliebten Menschen verliert, man muss trauern! Diese Phase kann unterschiedlich lang dauern, je nachdem wie nahe man sich stand und wie emotional man selber ist. Nachdem ich früher auf die Schnauze fiel mit anderen Methoden, lasse ich mir Zeit mittlerweile, versuche einen Mix aus verarbeiten und ablenken.

Sind starke Gefühle im Spiel, brauche für mich eine komplette räumliche Trennung und Abstand. Nichtsdestotrotz hat es mir immer geholfen sich auszusprechen nachdem eine gewisse Zeit vergangen ist. Man erfährt, wie es die andere Seite empfunden hat, bekommt einen anderen Blickwinkel. Diese Gespräche sollten aber nicht in emotional geladenen Momenten geschehen. Durchlauft ruhig erst mal die typischen Phasen einer Trennungsbewältigung, mit dem ganzen Leugnen, aufbrechenden Gefühlen, Neuorientierung und das finden eures neuen Lebenskonzeptes, bevor ihr euch einem Gespräch stellt.

„Trennung ist nicht gleich Trennung: Man kann Abschied nehmen mit klaren Worten und Wege fürs Loslassen ebnen, so handelt der Mutige. Man kann sich auch wortlos umdrehen und ein unglückliches Häufchen Ratlosigkeit hinterlassen, so handelt die Mehrheit.“

– Sigrun Hopfensperger

Es wird Fortschritte und Rückschritte geben. Aber irgendwann nimmt die Verbitterung gegenüber dem ehemaligen Partner ab. Irgendwann wird man akzeptieren können, dass es sowohl schlechte als auch gute Zeiten gab. Es wird euch unverhofft erhaschen dieses unbeschreibliche Gefühl, ein Mix aus Melancholie und Aufbruchsstimmung. Auch die Gründe für die Trennung werden klarer werden, vielleicht Erkenntnisse über sich selbst bringen und dazu führen, dass man an sich arbeitet.

Manch einer wird auch erkennen, dass der andere ein Idiot ist oder einfach eine Macke hat – auch das ist möglich und nicht einmal unwahrscheinlich, wenn wir ehrlich sind. Menschen sind Freaks. Eventuell war es ja einer dieser Bindungsgestörten, ein Soziopath, oder ein Jäger, der nur erobern möchte und dann das Interesse verliert. Ich habe sie alle schon gedated. Aber was es auch in deinem Fall war: Der Weg ist nun frei für eine bessere Zukunft. Denn ich weiß, es gibt auch andere Beispiele. Es gibt sie natürlich, die sensiblen, treuen und die netten Männer. Sie sind da draußen irgendwo. Es sind nur eben nicht so viele.

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Das klingt alles einfach und auch schlüssig, aber so einfach ist es dann doch nicht. Denn mit Ratschlägen ist es ja so eine Sache. Wenn man traurig ist, will man keine neunmalklugen Ratschläge. Man möchte sich schnell besser fühlen. Nicht mehr einsam sein. Das Ego verlangt lautstark danach, sich wieder liebens- und begehrenswert zu fühlen.
Durststrecken gehören zu jeder Liebes-Biografie. Harte Zeiten, schlechte Typen, einsame Phasen. Zeiten, in denen man an sich zweifelt und mit Fug und Recht Rotz und Wasser heulen darf. Manche Dinge brauchen halt einfach Zeit – wieder so ein nerviger Ratschlag, aber wohl der Beste den ich heute geben kann…

„Traurigsein ist wohl etwas Natürliches.
Es ist wohl ein Atemholen zur Freude,
ein Vorbereiten der Seele dazu.“

– Paula Modersohn-Becker

Aber noch gute Nachrichten zum Schluss: Studien besagen, dass bindungsunsichere Menschen ihre Angst überwinden können, wenn sie positive Erfahrungen machen. Man muss sich jetzt also nur noch auf den potenziellen Mr. Right einlassen. Aber zum Glück ist Liebe ja wenigstens manchmal stärker als Angst. (vgl. Nikola Haaks)

 

 

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20 Kommentare auf "David vs. Goliath AKA Mr.Right gegen die Bindungsangst"

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